Die Shoah: Warum wir Holocaust nicht als Synonym verwenden sollten.
Die Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten und ihre Kollaborateure wird im Hebräischen Shoah (empfohlene deutsche Schreibweise laut Duden) genannt – mit der Bedeutung: Katastrophe, Verderben, Zerstörung, Vernichtung. Ein häufig synonym genutzter Begriff ist der Holocaust.
Die englischsprachige Presse verwendete das Wort Holocaust (Völkermord, Inferno) im Zusammenhang mit den Massenmord-Absichten Hitlers erstmalig 1942. Anfang der 1970er Jahre festigte sich die Begriffsbestimmung in der US-amerikanischen Geschichtswissenschaft und fand mit dieser Bedeutung in der Folgezeit Eingang in viele andere Sprachen. 1986 wurde der Ausdruck Holocaust in den Duden aufgenommen.
Warum aber ist seine Verwendung in dem Zusammenhang höchst problematisch? Der Grund liegt in der Etymologie. Das griechische Adjektiv kaustos bedeutet „abgebrannt“, und holos heißt „vollständig, ganz und gar“. Der Ausdruck bezieht sich auf sakrale Opferhandlungen, bei denen das ganze Opfertier auf dem Altar verbrannt wird. So lautet Vers 1,9 im 3. Buch Mose nach der Luther-Übersetzung: „… der Priester soll das alles auf dem Altar in Rauch aufgehen lassen. Das ist ein Brandopfer, ein Feueropfer zum lieblichen Geruch des HERRN“. Damit geht das Verständnis einher, durch den zum Himmel aufsteigenden Brandgeruch mit Gott Verbindung aufzunehmen, die eigene Schuld zu bekennen und ihn gnädig zu stimmen.
Vor dem Hintergrund dieses Zusammenhangs wird mehr als deutlich, dass die Bezeichnung der Judenvernichtung als Holocaust auf tragische Weise absurd ist: Das Gegenteil des Beabsichtigten kommt zum Ausdruck (Judaist Peter Schäfer: „gutgemeint[er], aber ungewollt zynisch in die Irre führend“). Angesichts der hochgradig missverständlichen Formulierung lehnen viele Jüdinnen und Juden den Ausdruck Holocaust ab und bevorzugen das neutrale Wort Shoah.
Fazit: Auch wenn der Holocaust als wissenschaftlicher Fachbegriff zweifellos international etabliert ist, spricht viel dafür, seine Verwendung sorgfältig zu reflektieren. Zu wünschen bleibt, dass sich stattdessen der im Deutschen zunehmend genutzte Ausdruck Shoah weiter durchsetzt.
Dr. Sebastian Meyer-Stork